Von der Verstaatlichung 1938 bis 1960

Ein Teil der von der LAG betriebenen Strecken hatten vor allem für die touristischen Verkehre eine nicht unbedeutende verkehrliche Bedeutung im Streckennetz Deutschlands. Hierzu zählten insbesondere die Linien

  • Isartalbahn München – Bichl (50,49 km)
  • Marktoberdorf – Füssen (30,58 km)
  • Murnau – Oberammergau (23,71 km) und
  • Sonthofen – Oberstdorf (13,20 km)

Schon bald nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurden die Bestrebungen deutlich, wichtige, privat betriebene Strecken im Deutschen Reich unter die Staatshoheit zu bringen. In einem Schreiben der Deutschen Reichsbahn Hauptverwaltung an die Reichsbahndirektionen vom 22. Januar 1937 kommt dies bezugnehmend auf eine Verfügung vom 5. Januar 1935 zum Ausdruck:

„Betr. Übernahme der Privatbahnen des allgemeinen Verkehrs und der nebenbahnähnlichen Kleinbahnen; Im Anschluß an die vertrauliche Verfügung vom 5. Januar 1935 – 49 Apü 1 –

Der Reichs- und Preußische Verkehrsminister vertritt den Standpunkt, daß das Reich die privaten Eisenbahnen des öffentlichen Verkehrs (Eisenbahnen des allgemeinen Verkehrs und nebenbahnähnliche Kleinbahnen) in sein Eigentum und in seine Verwaltung übernehmen müsse, soweit diese Bahnen auch künftig lebenswichtig sind. Diese Auffassung findet sich zum Beispiel in der Begründung zum Gesetz über die Verlängerung zeitlich begrenzter Genehmigungen von Eisenbahnen des öffentlichen Verkehrs vom 26. Juni 1936 – RGBl II Seite 215 – . Zuletzt hat der Herr Minister diesen Gedanken in seiner Rede auf der Tagung der Reichsverkehrsgruppe Schienenbahnen am 4. Dezember 1936 erörtert und dabei gefordert, daß die Reichsbahn die privaten Bahnen des öffentlichen Verkehrs im Rahmen ihrer geldlichen Leistungsfähigkeit nach und nach übernehmen solle.

Um uns über die Auswirkungen dieser Anregung einen Überblick zu verschaffen, halten wir die Anstellung von Vorermittlungen darüber für angezeigt, welche geldliche Auswirkung die Übernahme der privaten Bahnen auf die Reichsbahn haben würde. Als Unterlage für die Erhebungen haben wir den beigefügten Fragebogen entworfen. …“

Mit dem „Gesetz über die Verstaatlichung der Localbahn-Aktiengesellschaft in München“ vom 16. Juni 1938 (RGBl 1938 II 215) wurde festgelegt, dass die deutschen Strecken der LAG mit Wirkung vom 1. August 1938 auf das Deutsche Reich übergingen. In der Begründung des Gesetzes zur Verstaatlichung der LAG wurde ausgeführt:
„Ist daher bei beiden Bahnen [Anm.: Isartalbahn und Sonthofen-Oberstdorf] die Verstaatlichung wegen der großen Bauausführungen der Reichsbahn und der damit eng zusammenhängenden einheitlichen Betriebsführung in Zukunft dringend erforderlich, so ist sie auch zugleich aus finanziellen Gründen geboten, da die hierfür notwendigen Ausgaben die Leistungsfähigkeit eines Privatunternehmens weit übersteigen. … Da ein Herauslösen der … vier Bahnen [Anm.: Isartalbahn, Sonthofen – Oberstdorf, Murnau – Oberammergau und Marktoberdorf – Füssen] aus dem Besitzstand der LAG, von dem sie etwa zwei Drittel darstellen, im Interesse der Aktionäre nicht angängig sein würde, ist die Verstaatlichung des gesamten Unternehmens nunmehr erforderlich. … Der durch die unrentablen Linien verursachte Verlust (1936 = 450 000 RM; 1935 = 390 000 RM) konnte durch die rentablen Linien Sonthofen – Oberstdorf, Marktoberdorf – Füssen und Niederbiegen – Weingarten gerade wieder wettgemacht werden, die 1936 einen Betriebsüberschuß von 459 000 RM (1935 = 336 000 RM) brachten.“

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Abb.: Auszug aus dem Reichsgesetzblatt mit Bekanntgabe es Gesetzes über die Verstaatlichung der Localbahn-Aktiengesellschaft in München vom 16. Juni 1938

Streckenausbau für den Krieg
In den Jahren 1938  bis 1939 entstanden südöstlich von Wolfratshausen im heutigen Stadtgebiet von Geretsried-Gartenberg zwei Munitionsfabriken. Für die Zufuhr der Rohstoffe und den Abtransport der Endprodukte errichteten die „Dynamit AG“ und die „Deutsche Sprengchemie GmbH“ ab Wolfratshausen ein fast 8,5 Kilometer langes Anschlussgleis, von dem wiederum eine Ringbahn abzweigte. Auf der Anschlussbahn führten die Firmen auch einen Werkspersonenverkehr durch.

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Abb.: Lageskizze der erweiterten Bahnanlagen in Wolfratshausen und Wolfratshausen Süd sowie der Anschlussbahn der DAG und DSC ab 1941

Nach Kriegsbeginn konnte das hohe Transportaufkommen der Munitionsfabriken mit den bescheidenen Anlagen des Bahnhofs Wolfratshausen nicht mehr abgewickelt werden. 1939 belief sich das Frachtaufkommen im Empfang auf 9 549 und im Versand auf 129 457 Tonnen (1941: 27 286 bzw. 166 024 Tonnen). Die Reichsbahn begann einen südlich davon liegenden Abstell- und Übergabebahnhof neu zu errichten, der über eine Verbindungskurve direkt mit dem Anschlussgleis der Munitionsfabriken verbunden war. Der neue Bahnhof bestand aus zwei Ausfahrgleisen in Richtung Bichl mit jeweils 391 Metern Länge, zwei Einfahrgleisen mit 374 und 430 Metern Länge sowie einem Lokgleis von ebenfalls 374 Metern Länge. Von allen fünf Gleisen direkt erreichbar, baute man im Gleisdreieck einen großen Lokschuppen mit drei Hallengleisen und einem Kohlen- bzw. Schlackengleis sowie einem Bahnmeistereigleis. Während des Winterfahrplanabschnitts 1941/42 ging der neue Bahnhof Wolfratshausen Süd in Betrieb. Es wurden mechanische Einheitsstellwerke in neuen Hochbauten errichtet. An jedem Bahnhofskopf befand sich ein Stellwerk. Ein drittes Stellwerk war im Bahnhof Wolfratshausen zur Anpassung der Blockanlagen erforderlich. Zwischen Wolfratshausen Ort und Süd wurde zur Sicherung eines bereits vorhandenen Bahnübergangs der Schrankenposten 11 eingerichtet.

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Abb.: Neuer Lokschuppen im Bahnhof Wolfrtshausen Süd kurz nach seiner Fertigstellung 1941                                                                Aufnahme: BD München

Aufgrund der schwierigen Streckentopografie von Wolfratshausen nach München mit Steigungen von 33 Promille im Bereich der Schlederleite zwischen Wolfratshausen und Icking, war nur eine südliche Abfuhr der Transporte über Bichl möglich. Ab Bichl konnte mit elektrischer Traktion über Tutzing nach München bzw. Weilheim (Oberbay) gefahren werden. Hierzu war auch ein Ausbau des Bahnhofs Bichl erforderlich, da die vorhandene Gleisanlage mit Nutzlängen von 204 bis 350 Metern nicht ausreichte. Der Spurplan des Bahnhofs wurde gänzlich verändert. Es entstanden insgesamt acht Gleise mit Längen zwischen 300 und 662 Metern Länge. Weiterhin war eine neue Signalanlage einschließlich der erforderlichen Hochbauten 1941/42 im Bau. Die beiden großzügig gebauten Wärterstellwerke wurden aber kriegsbedingt nicht in Betrieb genommen. Erst nachdem das Stellwerk im Empfangsgebäude 1944 durch Luftangriffe zerstört war, wich man auf das neue Stellwerk am nördlichen Bahnhofskopf aus. Den bisher vorhandenen einständigen Lokschuppen ersetzte man durch ein neues zweiständiges Gebäude, die Ladestraße verlegte man auf die Südseite des Empfangsgebäudes.

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Abb.: Die Tragfähigkeit der Loisachbrücke zwischen Icking und Wolfratshausen war beschränkt                       Aufnahme: BD München 1941

Um Zugkreuzungen zwischen Wolfratshausen und Bichl durchführen zu können, verlängerte die Reichsbahn die Kreuzungsgleise im Bahnhof Beuerberg von 190 auf 375 Meter Länge. Zur Versorgung der Lokomotiven mit Kesselwasser wurde hier auch ein circa 14 Meter hoher Wasserturm errichtet.

Schließlich sanierte die Deutsche Reichsbahn sämtliche Eisenbahnbrücken zwischen Wolfratshausen und Bichl, dies bedeutete den Umbau verschiedener Brücken nach den Vorgaben des Lastenzugs N. Der Oberbau wurde für die neue Achslast von 20,0 Tonnen erneuert.

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Abb.: Lageplan des Bahnhofs Bichl 1940

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Abb.: Lageplan des Bahnhofs Bichl nach dem Umbau im Jahr 1944

Die Auswirkungen des Krieges
Die Isartalbahn bekam die ersten negativen Auswirkungen des II. Weltkrieges schon am 4. Juni 1942 zu spüren. Zu diesem Zeitpunkt wurde das zweite Streckengleis zwischen Großhesselohe Isbf und Höllriegelskreuth-Grünwald zur Gewinnung von Oberbaustoffen außer Betrieb genommen.

Luftangriffe ab Mitte 1944 verursachten an den im Münchner Stadtgebiet liegenden LAG-Bahnanlagen Schäden von rund 70 %. Das Bahnhofsgebäude von Thalkirchen brannte gänzlich ab.

Am 19. Juli 1944 wurde der Bahnhof Höllriegelskreuth-Grünwald Ziel eines Fliegerangriff. Schwere Gleisschäden im gesamten Bahnhof sowie am Betriebsgebäude und an der Güterhalle waren die Folge. Ab November 1944 war der Zugverkehr an Sonntagen drastisch reduziert worden, wohl auch als eine Maßnahme zur Ressourceneinsparung.

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Abb.: Fahrplan der Isartalbahn, gültig ab 3.7.1944

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Abb.: Fahrplan der Isartalbahn im Vorortverkehr bis Höllriegelskreuth-Grünwald, gültig ab 3.7.1944

Dem umfangreichen Ausbau des Bahnhofes Bichl für den Güterverkehr bis 1942 folgte seine Zerstörung bei einem Luftangriff am 25. Februar 1945. Im Rahmen eines gezielten Objektangriffs warfen die alliierten Luftstreitkräfte auf die weitläufigen Gleisanlagen 50 bis 60 Bomben ab, die in erheblichem Umfang beschädigt wurden. Das Bahnhofsgebäude und die benachbarte Bahnhofswirtschaft wurden gänzlich zerstört. Die anderen Bahnhofsbauten sowie die umliegenden Gebäude wurden teils erheblich beschädigt. Insgesamt kamen 22 Menschen ums Leben. Eine noch größere Katastrophe konnte dadurch verhindert werden, dass es noch kurz vor dem Angriff gelang, einen Munitionszug in Richtung Tutzing abzufahren.

Ende 1944/Anfang 1945 wurde der Personenverkehr zwischen Wolfratshausen und Bichl ganz eingestellt. In den letzten Kriegstagen vom 26. – 30. April 1945 wurden mehrere Evakuierungszüge mit KZ-Häftlingen aus Dachau und Mühldorf über die Isartalbahn in Richtung Süden mit Ziel Tirol gefahren. Im Chaos der sich auflösenden Strukturen dauerten die Fahrten Tage, kosteten zahlreiche Menschenleben und die Häftlinge konnten letztendlich durch US-Einheiten befreit werden. Ein am 26. April 1945 in Dachau abgefahrener Zug erreichte nach einer Fahrt über Bichl – Tutzing – Weilheim am 28. April 1945 Seefeld in Tirol. Ein weiterer Zug erreicht am 28. April 1945 Seeshaupt, die Häftlinge wurden aber erst am 30. April 1945 in Tutzing befreit. Zwei weitere aus Richtung München gekommene Züge wurden in Beuerberg vereinigt. Dieser Häftlingszug durchfuhr am 29. April 1945 Bichl in Richtung Kochel, wurde dann aber mangels Weitertransportmöglichkeiten auf der Straße in Richtung Tutzing zurückgefahren und am 30. April 1945 in Seeshaupt von den amerikanischen Truppen befreit.

Das Ende des 2. Weltkrieges ging einher mit der vollständigen Unterbrechung der beiden Bahnlinien Wolfratshausen – Bichl und Tutzing – Bichl durch die Sprengung der Loisachbrücken bei Wolfratshausen Süd und Fletzen (Isartalbahn) sowie Schönmühl (Richtung Tutzing) am 29. und 30. April 1945.

Die Loisachbrücke bei Schönmühl stellte man unter Führung der US-Besatzung schnell wieder instand und nahm den Bahnbetrieb aus Richtung Tutzing im Laufe des Jahres 1945 wieder auf. Anders auf der Isartalbahn: Der Personenverkehr zwischen Wolfratshausen und Bichl bliebt zunächst eingestellt. Die Wiederherstellung der Befahrbarkeit durch den Aufbau der Fletzener Loisachbrücke südlich von Beuerberg zog sich bis zum 14. Februar 1949 hin.

Einen Monat später konnten auch die Verstärkungsarbeiten an der Loisachbrücke km 28,2 bei Gelting abgeschlossen werden, so dass nun alle gängigen Lokomotivbauarten wiederveinsetzbar waren. Das zweite Streckengleis Großhesselohe Isbf – Höllriegelskreuth-Grünwald war im Jahr 1950 ebenfalls wieder verlegt worden.

Die „Sollner Kurve“
Die Reichsbahnbaudirektion München griff bald nach der Verstaatlichung der LAG den Plan aus dem Jahr 1904 für den Bau einer Verbindungskurve von Solln nach Großhesselohe Isbf auf. Künftig sollte hier eine S-Bahnlinie von Freimann über Karlsplatz nach Höllriegelskreuth-Grünwald über diese neue Streckenverbindung geführt werden.

Nachdem in Pullach um 1942 der Bau eines Führerhauptquartiers in Angriff genommen wurde, errichtete die Reichsbahn ab dem Haltepunkt Solln Ende 1942/Anfang 1943 die genannte Verbindungskurve nach Großhesselohe Isbf, trotz der ansonsten eingestellten S-Bahn-Bauarbeiten. Über die Verbindung konnten nun Sonderzüge der damaligen Machthaber direkt in das Bunkergeländer fahren.

Zum Fahrplanwechsel am 8. Oktober 1950 übergab die DB die eingleisige Verbindungskurve von Solln, an der Strecke München Hbf – Holzkirchen, nach Großhesselohe Isbf dem öffentlichen Betrieb. Alle Personenzüge nach Wolfratshausen und Bichl bzw. Kochel führte die DB nun ab München Hbf. Ein neues Betriebs- und Fahrplankonzept auf der Isartalbahn war die Folge. Für die Fahrgäste, die München nur als Umsteigebahnhof zu und von der Isartalbahn nutzten, entfiel ab diesem Zeitpunkt der umständliche Bahnhofswechsel in Großhesselohe vom Isartalbahnhof zum Staatsbahnhof (ca. 700 Meter Fußweg) bzw. die Straßenbahnfahrt von München Isbf nach München Hbf. Auf dem Abschnitt München Isbf – Großhesselohe Isbf verblieb nur noch der Vorortverkehr im 30/60-Minuten-Takt. An Sonn- und Feiertagen in den Sommermonaten bis 1957  begann noch ein Personenzugpaar nach Kochel in München Isbf.

Die Aufnahme des elektrischen Zugbetriebes bis Wolfratshausen am 29. Juni 1960 brachte das Ende der Dampftraktion. Daraus resultierte eine Fahrzeitverkürzung von ca. 10 Minuten. Die Sollner Verbindungskurve war übrigens bereits seit dem 29. September 1957 elektrifiziert und erlaubte Vorortverkehr von München Hbf nach Höllriegelskreuth-Grünwald, der mit ET 85 abgewickelt wurde.
(Armin Franzke)

Bau der Isartalbahn

Isartalbahn in den Jahren 1891 – 1938

Teilstilllegungen 1959 – 1995

Von der Lokalbahn zur S7

Isartalbahn – Die wichtigsten Daten